ARBEIT | LEBEN
BIN ICH ZU IDEALISTISCH, WENN ICH
Natalie Stypa
Frühschicht geht um 5.30 los, bezahlt wird ab 6. Diese Information bekomme ich erst, als ich bereits zum dritten Mal in der Bäckerei als Verkäuferin arbeite. Das erste Mal habe ich eine Frühschicht ‚Probe gearbeitet’. Mit meinem potentiellen Chef hatte ich zu dem Zeitpunkt nur ein paar Worte gewechselt. Nach der Schicht teilt er mir telefonisch mit, daß ich übermorgen gern wiederkommen könne, zu einer ‚Probespätschicht’. Ich möchte erst die Konditionen erfahren. Wir treffen uns und ich erfahre: Probearbeit wird nicht bezahlt. So etwas hatte ich schon munkeln hören und daher zuvor im Internet recherchiert. Laut meiner Recherche ist die Gesetzeslage klar: Wenn ich zu einer vereinbarten Zeit am Arbeitsplatz erscheine, dort nicht nur zuschaue sondern Arbeit leiste und Anweisungen folge, dann muß ich dafür bezahlt werden. Ein Gesetz, das die Ausbeutung von Arbeitssuchenden als kurzfristige Aushilfe unter dem Deckmantel ‚Probearbeit’ – gerade in der Gastronomie, aber auch im Kulturbereich äußerst beliebt – verhindern soll. Theoretisch. Diese Strategie weist der Chef natürlich entrüstet von sich. Als er aber dennoch beharrt, Probearbeit würde nicht bezahlt, weise ich ihn auf diese gesetzliche Regelung hin. Bei dem Wort ‚Gesetz’ wird er leicht aggressiv, bei ihm laufe selbstverständlich alles korrekt ab. Ich bleibe ruhig und bestimmt. Nach einigem hin und her bietet er mir tatsächlich an, daß ich – ohne weitere Probearbeit – anfangen könne. Zuerst allerdings komme die Einarbeitungszeit. Und die werde ebenfalls nicht bezahlt. Schließlich sei es nicht ‚wirtschaftlich’, zwei Personen im Laden zu haben, wenn nur eine gebraucht werde. Ich müsse nicht die ganze Schicht mitmachen, jeweils vier Stunden, etwa eine Woche lang. Eingearbeitet werden ohne Bezahlung, und das eine ganze Woche lang? Auf meine erneute Empörung hin bietet der Chef mir schließlich pauschal fünfzig Euro für meine Einarbeitungszeit an. Ich rechne: 5 Tage mal 4 Stunden sind 20 Stunden, das ergäbe einen Stundenlohn von 2,50€. Ich bin so verdattert, daß ich mich darauf einlasse. Weil ich dringend Geld brauche. Weil mir die Arbeit Spaß gemacht hat. Weil die Kolleginnen nett sind. Ich erkläre mich bereit, am nächsten Tag den Rest der Spätschicht mitzumachen. Am Abend rede ich mit einer Freundin und einem Freund darüber. Beide sind sich einig, daß das gar nicht in Ordnung ist. Ich habe Angst, daß es in anderen Betrieben, gerade in Cafés oder Restaurants, nicht besser wäre. Sie haben Gegenbeispiele, wo selbst die Probearbeit mit festem Stundensatz bezahlt wird und ermutigen mich, daß ich auf jeden Fall schnell etwas anderes finden könne. Am nächsten Tag gehe ich mit der Absicht zur Bäckerei, einen festen Stundensatz für meine Einarbeitungszeit zu fordern. Ich bin überzeugt, daß der Chef sich nicht darauf einlassen wird. Zu meiner großen Überraschung tut er es doch. Dies sei zwar ein Novum für ihn – vor mir hätte das noch keine gefordert – dann müßte er auch gleich einen Vertrag machen – aber gut. Ich bin euphorisch und habe das Gefühl, einen kleinen Sieg im Namen sozialer Gerechtigkeit davon getragen zu haben. Nächsten Montag soll’s losgehen. Nächsten Montag stehe ich gut gelaunt und pünktlich um 5.30 Uhr im Laden. Vertrag sei noch in Arbeit, sagt der Chef, als er vorbeikommt, aber angemeldet habe er mich schon. Dienstag stehe ich, schon deutlich müder aber nicht weniger motiviert, wieder um 5.30 Uhr hinterm Tresen. Meine Motivation hält bis zu genau dem Zeitpunkt, als meine Kollegin in einem Nebensatz erwähnt, daß wir zwar um 5.30 Uhr da sein müssen, eigentlich schon 5.20 Uhr – aber bezahlt wird erst ab 6. Wieder bin ich innerhalb sehr kurzer Zeit fassungslos. Meine Kollegin findet das auch nicht gut, aber ab Juli bekämen wir dann auch die halbe Stunden bezahlt. Ich sage erst einmal nicht viel dazu, will den Chef darauf ansprechen. Er kommt und mein Vertrag sei weiter in Arbeit und morgen hätte ich dann Spätschicht. Ich frage nach der unbezahlten halbe Stunde. Ab Juli werde bezahlt, sagt er. Das finde ich nicht in Ordnung, sage ich, ich möchte für meine ganze Arbeit bezahlt werden. Ab Juli dann, gerade könne er sich’s nicht leisten, er sei Kleinunternehmer. Ich wiederhole, daß ich es inakzeptabel finde, ohne Lohn zu arbeiten. Er wird sauer. Er bezahle seine Mitarbeiterinnen für ihre Arbeit, und sogar fünfzig Cent mehr, als der Mindestlohn verlangt. Und jetzt käme ich und würde eine Forderung nach der anderen stellen. Seine Mitarbeiterinnen seien sehr zufrieden und noch niemals habe sich eine beschwert. Als ich nach sozialer Gerechtigkeit und fairen Bedingungen frage, fängt er an, von Gewerkschaften zu reden. Mit denen wolle er nichts zu tun haben. Wieder spricht er von Wirtschaftlichkeit. Er bereichere sich ja nicht auf Kosten anderer, scheffle hier keine Millionen. Wir reden zunehmend lauter, die Kollegin steht daneben. Ich sage, daß ich es unverantwortlich und ausbeuterisch finde, jemanden kostenlos für mich arbeiten zu lassen, und daß es Gesetze gibt, die das regeln. Aber diesmal zeigt das Zauberwort ‚Gesetz’ keine Wirkung. Er habe keine Lust auf den Zirkus, den ich hier veranstalte. Ich habe keine Lust, bei seiner systematischen Ausbeutung mitzumachen. Dann melde er mich eben wieder ab, sagt er. Gut, sage ich und hänge meine Schürze an den Nagel. Der Chef verschwindet. Die Kollegin ist bestürzt. Es sei doch schon fast Juli. Ich versuche noch einmal zu erzählen, warum es mir ums Prinzip geht. Daß Arbeit wertgeschätzt und entlohnt werden muß. Anderswo sei es noch schlimmer, kontert sie, weist auf Drogerien hin, wo sich Leute wochenlang unbezahlt einarbeiten lassen müssen. Das kann kein Argument sein, erwidere ich. Als ich mit dem Rad nach Hause fahre, bin ich hin und her gerissen. Einerseits fühlt es sich gut an, für meine Überzeugungen eingestanden zu haben. Andrerseits habe ich Befürchtungen: was, wenn wirklich die Mehrzahl der Betriebe ganz genauso funktioniert? Bin ich vielleicht zu idealistisch, wenn ich für meine Arbeit ausnahmslos bezahlt werden will? Bei meinen Überlegungen bin ich mir meiner privilegierten Lage bewußt. Ich bin nicht gezwungen, um jeden Preis den erstbesten Job anzunehmen. Ich habe keine Familie zu ernähren, dafür ein familiäres Auffangnetz. Dank meiner Herkunft und Ausbildung habe ich gelernt, Gegebenes zu hinterfragen, selbstständig zu recherchieren und mein Recht einzufordern. Viele haben diese Ressourcen und Kapazitäten nicht. Einschüchterung durch potentielle Arbeitgeber*innen, die die Angst vor Arbeitslosigkeit ausnutzen, um eigenhändig die Regeln des Systems zu diktieren, tragen ihr ihriges dazu bei, daß Arbeitnehmer*innen es normal finden, stunden- oder selbst wochenlang unbezahlt zu arbeiten. Wenn sie es nicht tun, macht es eben die nächste. Wer aufbegehrt, läuft Gefahr, als Querulantin aussortiert zu werden. Unser gegenwärtiges Verhältnis zu Arbeit scheint von Masochismus geprägt. Arbeit muß quälen. Ob in der Bäckerei oder bei unbezahlten Praktika: Wir akzeptieren lächerlichen Lohn und miese Konditionen, machen gute Miene und lästern abends in der Kneipe über das böse Spiel, nur um am nächsten Tag wieder hinter der Theke zu stehen oder am Schreibtisch zu sitzen. So ist das eben. Was kann ich da schon machen? Eine ganze Menge. Nein sagen. Nicht mitmachen. Anderen erklären, warum ich ein System ablehne, in dem Betriebe von einer kurzgedachten Wirtschaftlichkeit geleitet werden, deren einziger Wert die augenblickliche Gewinnmaximierung ist. Das mag bedeuten, daß ich selbst in dem Moment schlechter dastehe, einen Job verliere oder gar nicht erst bekomme. Aber ich gewinne auch etwas: Integrität. Denn wie kann ich erwarten, daß sich etwas in unserer Gesellschaft ändert, wenn ich selbst nicht bereit bin, die Veränderung mitzutragen? |