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DAS SCHOKOLADENMÄDCHEN
Natalie Stypa
20 Feb 2019
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Schon außen am Gebäude bewirbt die Dresdner Gemäldegalerie der Alten Meister, in der tatsächlich keine Werke von Malerinnen zu sehen sind, mit großen Bannern eine Sonderausstellung mit dem Titel: „Das schönste Pastell, das man je gesehen hat.“ Das Schokoladenmädchen von Jean-Étienne Liotard.
Dieser Ausstellung ist ein eigener Raum auf einer eigenen Etage gewidmet, strategisch positioniert mit dem gesamtem Rest des Museums auf der einen Seite darüber, dem Ausgang auf der anderen Seite darunter, der allerdings auch als Eingang genutzt werden kann. Zudem wird das Schokoladenmädchen nicht über das Treppenhaus erreicht, das die einzelnen Etagen der Dauerausstellung verbindet, sondern über ein deutlich imposanteres, das erst nach Durchqueren des 16. Jahrhunderts zugänglich wird. Ein Hinweisschild weist den Weg. Als ich den Raum betrete, gehe ich direkt auf eine Stellwand zu, auf der erneut der Hinweis prangt, daß ich in Kürze „das schönste Pastell, das man je gesehen hat“, zu Augen bekommen werde. Zunächst gibt es jedoch, der Dramaturgie gemäß, allerlei anderes zu betrachten. Andere Pastelle des Malers; Portraits, Selbstportraits. Viele Tafeln, die über Privates und Geschichtliches informieren. Ein Abschnitt widmet sich der malerischen Technik und der Zusammensetzung von Pastellkreiden, ein anderer der Schokolade und ihrem Einzug in europäische Adelskreise. Und wo ist denn nun das Schokoladenmädchen? fragt eine Frau die Aufsicht. Natürlich ganz am Ende!, möchte ich ihr zurufen. Als ich bei dem Schokoladenmädchen anlange – gut geschützt hinter Glas –, macht eine spanische Familie gerade selfies und zieht dann weiter. Ich bin mit ihr allein. Die Haare unter einer zartrosa Haube verborgen, die Brust hoch-, die Taille enggeschnürt, über dem bauschigen Rock eine weiße Schürze, trägt sie vor sich ein Tablett mit einem Glas Wasser und jener Tasse, deren Inhalt ihren Namen bestimmt. Hinter all den Wegweisern, der breiten Marmortreppen, dem verschachtelten Raum – eingesetzt, um etwas Großartiges zu beschwören und den Moment des Erblickens möglichst weit hinauszuzögern – bestätigt das Original, das ich nun bereits hundertfach auf Bannern, Plakaten, Kakao-Verpackungen und dergleichen gesehen habe, was der erste Blick verhieß: was hier groß angekündigt und gefeiert wird, ist eine dienende Frau. Unweigerlich denke ich an ein Gemälde, daß ich kurz zuvor gesehen habe. Der Begleittext sprach von der nackten Brust der weißen Frau und der heiteren Atmosphäre des Bildes. Nichts deute auf das tragische Schicksal, das der weißen Frau bevorstehe, hin. Allein der Gesichtsausdruck der ebenfalls präsenten schwarzen Frau, die der weißen ein Tuch reicht, sah so gar nicht heiter aus. Doch sie läßt der Text gänzlich unerwähnt. Das Schokoladenmädchen ist erstens weiß und zweitens allein. Ihr Gesichtsausdruck nicht ganz so gequält wie der der geschichtslosen schwarzen Dienerin. Und dennoch, von Heiterkeit ist auch sie weit entfernt. Wie sollte es auch anders sein? Reduziert auf ihre niedere soziale Funktion, die ihren Namen und damit ihre Individualität überschreibt. Assoziiert mit der Exotik und Extravaganz des neuen, teuren Genußmittels. Abwesend wirkt der Gesichtsausdruck dieser gemalten jungen Frau, zum Mädchen verniedlicht. Der Blick starr geradeaus ins Nirgendwo. Auf der Website der Gemäldegalerie lese ich nach meinem Besuch: „Der große Bekanntheitsgrad des Bildes aber beruht auf der Darstellung eines einfachen, unbekannten Stubenmädchens, einem bis dahin äußerst seltenen Motiv.“[1] Also etwa doch ein sozialkritischer Hintergrund – die unbekannte Dienerin auf einmal in den Vordergrund geholt wie eine feine Dame? Vielleicht war dies eine Sensation, ich vermag es nicht zu beurteilen. Wenn, dann aber vermutlich eher im Sinne von: Skandal. So enthält sich das Museum auch jeglicher Spekulation über die Identität des unbekannten Modells. Dennoch möchte ich, bar kunsthistorischer Kenntnisse, eine andere Interpretation des Schokoladenmädchens Ruhm vorschlagen: denn die feine Herrschaft ist durchaus präsent im Bild. Die Bedienende impliziert unweigerlich die Bedienten. Das Stubenmädchen ist der Besitz der abwesenden Herrschaft, und zwar ein ganz besonderer. So heißt es ebenfalls auf der Website: „Eine sinnliche Ausstellung feiert die Ikone der Gemäldegalerie“[2]. Es geht hier also um: eine dienende Frau, die Sinnlichkeit serviert. Sex sells. Damals im 18. Jahrhundert, als das Bild entstand, genau wie heute, da sie die Museumsbesucher*innen als spezieller Leckerbissen verführen soll. Neben Weiblichkeit und Dienerinnenstatus gründet sich der Sex-Appeal des Bildes im bereits angedeuteten Luxus, serviert in Form des exklusiven Getränks in teurem Porzellan; und zwar laut Website des Museums „einer unbekannten Empfängerin zum Frühstück“[3]. Einer Empfängerin also. Woher dieses Wissen wohl stammt? Tranken die reichen Herren damals keine Schokolade? Oder wurde ihnen ihr morgendlicher Kakao von männlichen Bediensteten ans Bett serviert, um sie nicht über Gebühr in heteroerotische Versuchung zu führen? Schließlich gilt Schokolade als Aphrodisiakum. [Oder ging hier die Phantasie eines Kunsthistorikers durch, der sich eine köstlich-schmutzige Szene zwischen Dienerin und Bedienter ausmalte?] Vielleicht begnügt sich der männliche Blick des Malers wie der der reichen Herren seiner Zeit aber auch mit dem privilegierten Posten des außenstehenden Betrachters. Eine hübsche Querverbindung, daß der Genfer Maler ausgerechnet Jean-Étienne Liotard heißt! Ob wohl eine Verwandtschaft besteht zum französischen Philosophen Jean-François Lyotard, der zweihundert Jahre später vom Ende des beherrschenden, einheitlichen Subjekts schreiben wird? Hier, beim Schokoladenmädchen, genießt das Subjekt seine Herrschaft über das begehrenswerte Objekt in vollen Zügen, indem es dieses in seiner Dienstbarkeit perpetuiert und aus bequemer Position betrachtet. Eine Position, die uns die Gemäldegalerie Alte Meister einlädt, auch über 200 Jahre später einzunehmen und zu genießen. So muß ich revidieren: dargestellt ist hier nicht eine dienende Frau; es ist die dienende Frau, deren Archetyp seit Jahrhunderten die Geschichte und Geschicke des christlich-patriarchalischen Abendlandes durchzieht – und nicht nur im Dresdner Museum weiterhin als Objekt der Begierde benutzt wird. [1] https://gemaeldegalerie.skd.museum/ausstellungen/schokoladenmaedchen/ Aufgerufen am 25.11.2018. [2] https://gemaeldegalerie.skd.museum/ Aufgerufen am 25.11.2018. [3] https://gemaeldegalerie.skd.museum/ausstellungen/schokoladenmaedchen/ Aufgerufen am 25.11.2018. |