ARM | REICH
GEFÜHLTE ARMUT
Diana Arnold
Die Nachbarin, mit der ich in die gleiche Klasse ging, hatte einen Farbfernseher. Samstags putzte ihr Vater das Auto. Mein Papa hatte ein Moped.
Meine Cousine hatte eine Barbie – schon vor der Wende. Auf dem Schwarzmarkt in Polen kaufte mir meine Mutter mir Leggings Blumenprint. Leider war ein Hosenbein sichtlich kürzer als das andere und ich wurde gehänselt. Wenn in der Gemeinde zu einem Sperrmülltermin alte Möbel auf die Straße gestellt wurden, fuhren meine Eltern bei Einbruch der Dämmerung los und stopften so viel ins Auto wie rein passte. Von meinem Jugendweihe-Geld kaufte ich mir eine Stereoanlage, die ich bis heute habe. In den Sommerferien arbeitete ich in einem Restaurant als Küchenhilfe für 8 DM pro Stunde schwarz. Manchmal rundete meine Chefin auf. Davon bezahlte ich meinen Führerschein. Mit 16 nahm ich Gesangsunterricht. Mit 17 stellten mich meine Eltern vor die Entscheidung: Taschengeld oder Gesangsunterricht. Ich entschied mich fürs Taschengeld. Ich arbeitete als Strandkorbvermieterin für 50 DM am Tag. Gleichzeitig engagierte mich mein Strandkorb-Chef als Babysitterin. Sie wohnten in einer eleganten, modernen Wohnung im Kurort und hatten einen DVD-Player. Ich bekam also Geld fürs Am-Strand-Sitzen und Filme-Gucken. Nach dem Abi zog ich fürs FSJ nach Eckernförde. Die Küche und das Bad teilten wir uns mit dem Kindergarten. Frühstück und Mittag bekamen wir im Kindergarten, dazu 250 Euro Taschengeld. Ich fühlte mich reich. Ich fuhr oft nach Hause und kaufte mir einen Fön. Eckernförde bot nach meinem damaligen Verständnis nicht viele Möglichkeiten, Geld auszugeben. Ich zog zurück nach Hause und informierte mich über ein Studium. Doch zuerst machte ich für 2 Monate ein unbezahltes Praktikum bei meinem damaligen Lieblingsmagazin. Ich bewohnte ein kleines, fast unmöbliertes Zimmer (eine Matratze, eine Lampe) in der Yorck59, das etwa 200 Euro kostete. Ich ging nie aus, denn ich kannte niemanden in Berlin. Dann lernte ich jemanden kennen und verbrachte mit ihm den Sommer in der Stadt, was Geld kostete, das ich nicht hatte bzw. von meinem Vater bekam. Ich erinnere mich nicht an eine Regelung, aber an die Geldknappheit. Ich richtete mir ein Konto bei der Sparkasse ein, weil ich meinte, ich bekäme sofort einen Dispo. Das stimmte zum Glück nicht. Ich begann im Herbst an der FU zu studieren und bekam Bafög und Kindergeld. Zweimal im Monat Geld zu bekommen war ganz gut, aber trotzdem zu wenig. Das mag an Berlin gelegen haben oder einfach daran, dass sich plötzlich auch die Möglichkeit zu mehr Geld bot: Ich arbeitete auf dem billigsten Posten der Messe in Hannover am Einlass. Irgendwie passte es meistens mit dem Geld, wenn ich mich richtig erinnere. Dann sah ich mich in Berlin um, hatte gerade einen Job am Theatereinlass (Türen öffnen und schließen, Infos geben: ca. 7,25 Euro pro Stunde) angenommen, als ich einen Job als studentische Hilfskraft bei einem alten Prof bekam. Ich verdiente etwas mehr als 400 Euro im Monat, hatte meistens Spaß an den Aufgaben, auch wenn ich mich unverhältnismäßig viel und künstlich über vergleichsweise wenig Stress aufregte. Die Anrechnungsregelung mit dem Bafög war (im Vergleich zum Hartz IV) human und so hatte ich am Ende meistens ca. 1000 Euro im Monat. Ich war reich! Ich sparte sogar auf einen Laptop. Ich ging ins Kino und ins Theater, ich reiste mit dem Billigflieger nach Spanien. Dann lief das Bafög aus, mein Prof ging in den Ruhestand. Ich bekam einen unvorteilhaften Studentenkredit gebilligt (für die KFW fehlte mir ein Bürge) und schrieb auf entspannten 800 Euro meine Magisterarbeit. Zum absoluten Ende meines Studiums und meines Kredits hin beantragte ich Hartz IV. Knapp 750 Euro, die mein Überleben – und kein bisschen mehr – gewährleisten sollten. Eigentlich genug. Seitdem gab es natürlich Versuche, diesem Zustand zu entfliehen oder ihn zumindest aufzubessern. Mehr oder minder erfolgreich. Von dem Geld gehen 144 Euro jeden Monat an die Deutsche Bank. Ich habe Öko-Strom. Am Ende bleiben mir 63,31 Euro für den gesamten Monat. Ich könnte natürlich den Studentenkredit wieder stunden lassen, aber die Zinsen sind jedes Mal horrend. Sie sind jedoch nichts im Vergleich zu der Scham, die ich empfinde, wenn ich hingehen müsste, um die Stundung zu beantragen. Meine Armut ist ein Gedanke, den ich mehrmals täglich habe: Dienstag Armutsgedanke (AG) 1 Mein Shampoo ist fast alle. (Und die Spülung und das Duschgel.) AG 2 Mein Espresso ist definitiv alle. Ich habe noch alten Ersatzkaffee. Mittwoch AG 1 Ich kaufe keinen Saft fürs Frühstück. Saft scheint mir unnötig teuer. AG 2 Ich schreibe eine Bewerbung. Der Arbeitgeber möchte sie per Post. Ich ärgere mich über Druckkosten, Porto, den Hefter. (Ich verwende das billige Standardpapier und sehe meine Chancen auf die Stelle schwinden.) AG 3 Wir wollen in eine Ausstellung. Für mich kostet sie 5 Euro (ermäßigt) zzgl. 2,70 Euro, zzgl. 1,80 Euro für das Fahrrad meines Freundes auf dem Rückweg, bei dem ich auf seinem Ticket mitfahren kann. Das sind insgesamt 9,50 Euro. AG 4 Im Supermarkt lasse ich mal wieder den gemeinsamen Einkauf von meinem Freund bezahlen. Ich schäme mich. usw. Übrige/Restliche Armutsgedanken Wir gehen zu einer Ausstellungseröffnung in der Böll-Stiftung. Es gibt Wein umsonst, für die Häppchen sind wie ein bisschen zu spät. Am Samstag kauft mein Freund einen reduzierten Pulli in einer etwas besseren Boutique in der O-Straße. Sie haben auch hochwertige Damen-Kleidung, die ich überraschend belanglos finde. Ich bin fast ein bisschen herablassend in meiner Freude über meine Vintage-Kleidung. Die Ausstellung in der ngbk ist umsonst und interessant und wichtig. Trotzdem ist mein Brot alle und die Dispo-Unterkante zum Greifen nah. Früher haben wir ein Spiel gespielt. Meine Mutter, mein Vater, meine Schwester und ich. Wir saßen zusammen zum Abendbrot und jeder erzählte, was er sich alles kaufen würde, wenn wir im Lotto gewinnen würden. Meine Eltern spielten eigentlich gar kein Lotto, aber unsere Abendessen machten meistens Spaß. |