WICHTIGES | UNWICHTIGES
WAR KATHARINE ANN WOOLEY
Diana Arnold
Ich habe bisher keine Information dazu gefunden, ob Leonard ein attraktiver Mann war, ob er Sinn für Humor hatte, umgänglich war oder eher Einzelgänger. Ob er Choleriker, Asket oder Dandy, loyal oder missgünstig war.
Ich habe zahlreiche Anmerkungen gefunden, dass Katharine charmant, kühl und manipulativ, launisch und fordernd – und attraktiv gewesen sein soll. Leonard war ein berühmter Archäologe. Und wer war Katharine? Katharine und Leonard waren 18 Jahre verheiratet. Und ich kann den Reiz nachvollziehen, diese Ehe zu erwähnen. Und wer immer über Katharine schreibt, erwähnt auch ihre Ehe. Ihre Ehen, um genau zu sein. Ihre wissenschaftliche Bedeutung wird dann bestenfalls ergänzt. Katharine Ann Woolley war als archäologische Zeichnerin von 1925 bis 1934 an den Ausgrabungen des summerischen Stadtstaates Ur beteiligt – eine blühende Metropole im Herzen Mesopotamiens 2600 vor Christus. Katharine Ann Woolleys Zeichnungen belebten nicht nur die akribische Dokumentation, für die Leonard Woolley seit fast hundert Jahren gewürdigt wird. Sie war auch für die Öffentlichkeitsarbeit und die daran geknüpfte Finanzierung des Projekts verantwortlich. Denn die Ergebnisse der insgesamt zwölf Jahre andauernden Ausgrabungen unter Leonard Woolley wurden laufend publiziert. Sie rekonstruierte zudem das berühmteste Fundstück der Ausgrabungen, den Kopfschmuck von Königin Puabi. Wikipedia[1] lässt dies allerdings ebenso unerwähnt wie das Penn Museum, in dem der Schmuck aufbewahrt und ausgestellt wird.[2] Das Problem der Quellen ist also offensichtlich: Suche ich direkt nach Katharine Ann Woolley finde ich viele interessante Details zu einer spannenden Biographie, die die Protagonistin selbst gern getilgt hätte, denn sie ließ angeblich zahlreiche Schriftstücke verbrennen.[3] Suche ich dagegen nach den Projekten, an denen sie maßgeblich mitgewirkt hat, wird sie zu einer geschmäcklerischen Randnotiz, sollte sie überhaupt erwähnt werden. Meine erste Quelle ist das Magazin Geo Epoche zum Thema Mythos Babylon. Ein Artikel stellt Leonard Woolley und die historische Stadt Ur vor. Zur Katharine Ann Woolley heißt es dort: „Katharine ist attraktiv und charmant, aber auch kalt und von Stimmungsschwankungen beherrscht.“[4] Wie ein Groschenroman lähmt diese Beschreibung meine Vorstellungskraft. Der darauffolgende Tratsch aber empört – und fasziniert – mich: Ihr erster Ehemann hat auf der Hochzeitsreise Selbstmord begangen, angeblich soll er sich am Fuße der Cheops-Pyramide erschossen haben; ihre zweite Ehe mit Woolley wird wohl nie vollzogen (in der Hochzeitsnacht hat sie ihn im Badezimmer eingeschlossen). Doch sie ist ihrem Mann –der meist bis zwei Uhr morgens die Funde in seinem Arbeitszimmer auswertet und eine halbe Stunde nach Sonnenaufgang wieder auf dem Grabungsfeld zu finden ist –eine unentbehrliche Hilfe.[5] Von nun an möchte ich vor allem etwas „Wirkliches“ über diese Frau wissen, die in der irakischen Wüste allein unter Männern Arbeit geleistet haben muss, die gut genug war, damit Leonard Woolley sie heiratet. Denn dass er sie nicht aus Liebe heiratet, verheimlicht keine Quelle: Die Geldgeber, das British Museum und das Museum der University of Pennsylvania, finden die Teilnahme einer jungen selbständigen Witwe an „ihren“ Ausgrabungen unpassend. Als Ehefrau des leitenden Archäologen dagegen ist Katharine Ann Woolleys Anwesenheit akzeptiert. Der Pragmatismus wird unterstrichen von einem verbrieften Deal: die Ehe ist eine auf dem Papier und keine im Bett.[6] Katharine Ann Woolley fehlte es womöglich sowieso an romantischer Zuversicht, was das Konzept Ehe betraf. Zumindest muss das jähe Ende ihrer ersten Ehe mit Bertram Francis Eardley Keeling gewisse Zweifel hinterlassen haben. Denn obwohl sich alle Quellen einig sind, dass sich ihr erster Ehemann ein halbes Jahr nach der Hochzeit zu Füßen der Cheops-Pyramnie erschoss, besteht Unklarheit über die Gründe. Eine Hypothese liefert Henrietta McCall, Mitarbeiterin des British Museum. Ein Blog-Eintrag resümiert einen Vortrag, den McCall 2013 am British Museum gehalten hat, wonach es Hinweise gäbe, Katharine Ann Woolley hätte eine sogenannte komplette Androgenresistenz gehabt.[7] Das heißt, sie war genotypisch männlich (XY-chromosomal) und phänotypisch weiblich. Als Keeling davon erfuhr, erschoss er sich laut McCall. Das Problem, das ich mit dieser Theorie habe, ist ihre unbestimmte Herkunft. Ich kann nirgends im großen weiten Netz eine Begründung für diese Theorie finden, die ich an anderer Stelle ein zweites Mal – ebenfalls unbegründet und vermutlich kopiert – finde.[8] Ich versuche vergeblich, Kontakt zu McCall und der Bloggerin aufzunehmen. Doch was möchte ich eigentlich über Katharine Ann Woolley wissen? Möchte ich wissen, was für Charaktereigenschaften sie hatte? Ob ihr Leben eine Seifenoper war, die sich in den 1920er Jahren in der irakischen Wüste abspielte? Möchte ich wissen, ob sie Leistungen vollbracht hat, aufgrund derer sie in einem Atemzug mit ihren männlichen Zeitgenossen genannt werden sollte? Ich denke, ich möchte vor allem wissen, ob sie eine Frau war, die einen unkonventionellen Lebensweg verfolgte, obwohl von ihr erwartet wurde, die Zierde eines Ehemannes zu sein. Die ein eigenes Interesse hatte, das sie verfolgte, obwohl die Umstände dafür nicht besonders günstig waren. Die vielleicht keine Feministin im engeren Sinne war, aber mit ihrem Lebensweg ein geschlechtsbasiertes Rollenkonzept in Frage stellte. Im deutschen Wikipedia-Artikel heißt es zu Katharine Ann Woolley: Nach allen Berichten war sie eine berechnende, manipulative Frau, die keine Widerworte akzeptierte und mit ihrer Umgebung vor allem über Befehle kommunizierte.[9] Schon aus Trotz stelle ich mir eine Frau vor, die fähig war zu sagen, was sie will und was nicht. Allein die Formulierung „die keine Widerworte akzeptierte“ ruft in mir das Bild eines erhobenen Zeigefingers eines konservativen Vormunds hervor, der glaubt, Kraft eines ominösen Naturgesetzes müssten alle seiner Meinung sein und danach handeln. Mir bleibt schließlich noch eine weitere fragwürdige Quelle: Agatha Christies „Murder in Mesopotamia“. Endlich im Reich der Fiktion und vor allem auch der Unterhaltung angelangt, atme ich auf: Was immer hier geschrieben steht, darf hier stehen, darf wahr oder unwahr, schön oder schrecklich sein. Und das, obwohl Agatha Christie Katharine Ann Woolley sogar persönlich kannte. Sie soll daher Vorbild für das Mordopfer des Romans, Louise Leidner, gewesen sein. So bezeugt es Christies Ehemann und Katharine Ann Woolleys Kollege Max Mallowan.[10] In „Murder in Mesopotamia“ besteht das Ausgrabungsteam aus mehreren irakischen (leider nicht weiter thematisierten) sowie zehn weißen Mitgliedern. Von den weißen haben alle ein Motiv für den Mord. Detektiv Hercule Poirot ist sich sicher, dass er den Mörder oder die Mörderin nur findet, wenn er versteht, wer Louise war und welche Beziehung sie zu jedem Mitglied des Teams hatte. Und tatsächlich finden sich zehn verschiedene Meinungen zu Louise. Als Leserin kann ich aus dem Vollem schöpfen und mir eine aussuchen: Am Ende des Buches, als Poirot den Mord auflöst, analysiert er auch die Bücher, die Louise in ihrem Zimmer stehen hatte: She had, to begin with, an interest in culture and in modern science – that is, a distinct intellectual side. Of the novels Linda Condon, and in a lesser degree Crewe Train, seemed to show Mrs. Leidner had a sympathy and interest in the independent woman – unencumbered or entrapped by man. She was also obviously interested by the personality of Lady Hester Stanhope. Linda Condon is an exquisite study of the worship of her own beauty by a woman. Crewe Train is a study of a passionate individualist. Back to Methuselah is in sympathy with the intellectual rather than the emotional attitude to life. I felt that I was beginning to understand the dead woman.[11] Sie hatte in erster Linie ein Interesse an Kultur und moderner Wissenschaft – das heißt eine ausgeprägte intellektuelle Seite. Die Romane Linda Condon und in geringerem Maße Crewe Train weisen scheinbar auf Mrs. Leidners Sympathie und Interesse an unabhängigen Frauen hin – ungehindert oder gefangen von Männern. Sie war zudem offensichtlich interessiert an der Persönlichkeit von Lady Hester Stanhope. Linda Condon ist eine hervorragende Studie der Wertschätzung ihrer eigenen Schönheit von einer Frau. Crewe Train ist die Geschichte einer leidenschaftlichen Individualistin. Zurück zu Methusalem steht im Einklang mit einer intellektuellen und weniger mit einer emotionalen Haltung zum Leben. Ich ahnte, dass ich begann, die tote Frau zu verstehen. Ahnung und Beginn sind auch das, was mir bleibt. Und damit eine noch immer unbefriedigte Neugier, die sich weiterhin auch aus Frust speist. Vielleicht werde ich eines Tages mehr über Katharine Ann Woolley wissen, vielleicht bleibt mir nur eine Projektionsfläche für eine wunderbare Geschichte. Epilog Ein weiteres reales, aber auch von Christie ausgespartes Teammitglied war Sheikh Hamoudi Ibn Ibrahim. Obwohl der irakische Vorarbeiter im Gegensatz zu den meisten anderen Mitgliedern of color namentlich bekannt ist, ist über ihn nur zu erfahren, dass er genügend medizinisches Wissen gehabt haben muss, um dem an Typhus erkrankten Leonard Woolley das Leben retten zu können. Rund zweihundert weitere irakische Ausgrabungsteilnehmer bleiben (zumindest in europäischen) Quellen ohne Namen und Geschichte. Alle Links mit Stand 09.09.2018 [1] https://en.wikipedia.org/wiki/Puabi [2] https://www.penn.museum/sites/iraq/?page_id=61 [3] http://www.ur-online.org/personorg/13/ [4] Geo Epoche: Babylon (87/2018); Strempel, Johannes: Jäger des verlorenen Schatzes, S. 58. [5] ebd. [6] http://www.ur-online.org/personorg/13/ [7] http://bjrichards.blogspot.com/2013/01/more-deadly-than-male-life-of-katharine_4954.html [8] http://www.ur-online.org/media_item/183487/ [9] https://de.wikipedia.org/wiki/Katharine_Woolley [10] https://www.penn.museum/sites/expedition/murder-in-mesopotamia/ [11] Christie, Agatha: Murder in Mesopotamia; New York 1961, S. 193f. |