RAUSCH | RATIO
NACH DER WENDE - ALS WIR
Diana Arnold
Zum Titelsong A New Error von Moderat rasen sechzehnjährige Jungs mit geklauten Autos durchs nächtliche Nachwende-Leipzig. Sie grölen und jaulen berauscht von Dosenbier und zerschlagen alles, was sich zerschlagen lässt – was noch übrig ist. Doch übrig wovon? Die eigentliche Wende ist eine Leerstelle im Film. Was sich zwischen knallbunter Pionierkindheit und den entsättigten ruinösen 1990ern in Leipzig ereignet – der große Bruch – scheint mythisch fern.
Wie die Wende als Ereignis so scheinen überhaupt politische Inhalte bewusst auf mythisches Hintergrundrauschen reduziert zu sein. Die Clique im Zentrum des Film kokettiert mit Pionierattitüden, trägt einer alten Frau die Kohlen – aber natürlich gegen Geld. Der Nazi-Schlägertrupp will genau das Gleiche nur im anderen Outfit. Die Kohlen-Oma wird Gegenstand eines Revierkampfes, der mit Politik nichts zu tun. Auch dann nicht, wenn die gegnerischen Gruppen um das Mädchen genannt Sternchen buhlen. Statt eines stringenten Plots gibt es ein pubertäres Mosaik aus Boxkämpfen, Kleinkriminalität und Abwesenheiten: Wo es kein System und keine Politik gibt, sind Erwachsene Statisten. Es gibt keine Schule und keine Zukunft. Als wir träumten ist ein Rausch von Pubertät, der das Gestern nicht hinterfragt, sich nicht an Pläne für morgen verschwendet, sondern das nimmt, was gerade im Sichtfeld auftaucht: ein Auto, das zertrümmert wird, ein leeres Gebäude, das zum Club erklärt wird. Dazwischen Kapitelüberschriften wie Bild-Schlagzeilen. Die lose Verknüpfung von vereinzelten Begebenheiten und Situationen funktioniert – denn wessen Jugend lässt sich schon als logisch verknüpfte Abfolge sinnhafter Ereignisse erzählen? Kontinuität entsteht durch die Clique, die manchmal gerade noch von kleinen Gesten der Loyalität zusammengehalten wird. Aber dann scheint sich doch noch ein erwachsenes Bedürfnis nach moralischer Stringenz beizumischen: Die Drogengeschichte um einen der Freunde soll den Film rahmen, wirkt aber merkwürdig nachgeschoben. Die plakative Ernsthaftigkeit hilft auch nicht, den Rausch zu erden. Plötzlich ist einer Junkie – auch ein Fragment, aber hier geht das Spiel aus Abwesenheiten und Leerstellen nicht auf. Ich würde gern glauben, dass diese Art der Narration Methode hat, so wie ich glauben möchte, dass der seltsam reife wie steife Dialog zwischen dem jüngeren Vorwende-Dani und seiner systemtreuen Klassenliebe kein schlechtes Schauspiel, sondern ein gewolltes Moment der Entfremdung sein soll. Ich möchte es glauben, weil ich mich dem Film – auch aus autobiographischen Gründen – verbunden fühle und die Darsteller großartig finde. Und das trotz nicht bestandenem Bechdel-Test: Sternchen hätte diesen übrigens sicher nicht retten können. Im Gegenteil scheint mir ihre Anwesenheit nicht nur überflüssig, sie schwächt vielmehr den Film. Auch Danis Mutter und die Kohle-Oma helfen nicht, aber sie lassen die Vernachlässigung des anderen Geschlechts nicht so sehr zu einem offenkundigen Ärgernis werden. Sternchen hat gemessen an ihrer Zeit auf der Leinwand und ihrer Funktion für das Drehbuch erstaunlich wenig zu sagen. Und das, was sie sagen darf, ist peinlich charakterlos. Mir fallen andere Filme ein, die sich zugleich kaum mit Als wir träumten vergleichen lassen: A New Error lässt mich an Laurence Aynways von Xavier Dolan denken, ist auch hier der Titelsong des Films am anderen Ende der westlichen Welt, Milieu und Thema sind ebenfalls weit weg. Die Verknüpfung liegt allenfalls in einem ähnlich verwachsenen Spiel mit Zeiten: A New Error wurde 2009 veröffentlicht, Laurence Anyways 2012, umspannt aber die Jahre 1989 bis 1999, also die Dekade, in deren Mitte etwa auch die Handlung von Als wir träumten fällt. Beide Filme berühren demnach zwar die gleiche Zeit, ein anachronistischer Titelsong verbindet sie und doch haben sie so gut wie nichts gemeinsam: Xavier Dolans Film ist ein selbstreflektiertes hedonistisches Pop-Epos über Transsexualität, während in Andreas Dresens Literaturverfilmung selbst die euphorischen Momente immer mit einer gewissen Tristesse unterlegt sind. Als Laurence und Fred zu A New Error über die Île au Noir spazieren, ist diese Szene frei von Authentizität, ein knallbuntes Traumwandeln. Die Jungs aus Als wir träumten strecken ihr Köpfe aus dem Autofenster in die Nacht, lassen sich den Fahrtwind ins Gesicht wehen. Doch trotz Tempo und Rausch spürt man noch beim Zuschauen das Kopfsteinpflaster unterm Passat und schmeckt das Aluminiumaroma im Dosenbier. Der zweite Vergleich ist in noch engerem Sinne dem Timing geschuldet. Wir sind jung. Wir sind stark. ist nicht nur zeitnah angelaufen, sondern beobachtet ebenfalls eine Clique von sechzehnjährigen Jungs kurz nach der Wende, allerdings während der Ausschreitungen 1992 in Rostock-Lichtenhagen. Das politische Thema ist natürlich omnipräsent in Wir sind jung. Wir sind stark. Das Ereignis, der Angriff auf das Flüchtlingsheim, ist der Fluchtpunkt, auf den die verkrachten Pubertäten zulaufen. Als wir träumten ist subtiler, die historische Einbettung wesentlich, ohne vordergründig thematisiert zu werden. Auffällig aber ist eine fast identische Szene in beiden Filme, in der zwei, drei Jungs der Clique sich das Zimmer eines verstorbenen Freundes ansehen. In beiden wird das Unbehagen der Hauptfigur (Jonas Nay/Merlin Rose) deutlich: er ist passiv, während die Freunde ihm zuspielen, ein Kleidungsstück reichen – einmal die coole Jacke im Stil von Ryan Goslings Skorpion-Blouson in Drive, die Stefan nun tragen wird, im anderen Fall ein Pullover, der nach dem verstorbenen Freund riecht. Hier wie dort ist der Tod des gleichaltrigen, also sehr jungen Freundes eine ungewollte Initiation: In einem entgrenztem Alter, das gerne alles, auch Lebenskraft, verschwendet, gibt es nur wenig, das den Rausch bricht. Ein weiterer Vergleich ist unvermeidlich: Mark Renton ist ein wenig älter als die Leipziger Jungs und seine Drogenkarriere erreicht zudem schon einige Jahre früher ihren Höhepunkt in Danny Boyles Kultfilm Trainspotting. Doch das Leipziger Grau ähnelt zweifellos jenem von Glasgow und Edinburgh – der Rausch, die prägnante Musik und die Mosaikstruktur ebenso. Allerdings taugt Tommys Tod kaum, die übrigen Charaktere wirklich zu erden, denn die Szenen, die diesen umspannen, sind nicht sentimental, sondern zynisch: Spuds Gesang – Climb up here, Tommy / Don't be dying / I can go just as fast with two – karikiert das einsame Sterben des Freundes. Der Film vermeidet gerade das Pathos der Initiation, wird dadurch sehr viel härter. Der Rausch ist konsequenter und destruktiver. |