AKTIV | PASSIV
AKTIVISMUS UND PASSIVE
Interview: Natalie Stypa
August 2015
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Wir haben einen Aktivisten nach seinen Erfahrungen bei der Besetzung des Braunkohletagebaus Garzweiler befragt.
GIER: Wenn wir von zivilen Ungehorsam und Blockaden hören, denken viele in Deutschland sicher an Castortransporte und Leute, die sich an Gleise ketten. Wie war dein Verhältnis zu zivilen Ungehorsam vor der Aktion im rheinischen Braunkohlerevier? AKTIVIST: Eigentlich konnte ich mir nie vorstellen, selbst an so etwas teilzunehmen. Ich komme aus der Postwachstumsbewegung, wo es neben einer theoretischen Beschäftigung darum geht, Dinge im Alltag anders anzugehen und konkrete gesellschaftliche Alternativen zum kapitalistischen Wirtschaften zu entwickeln. Das hat einen sehr positiven Drall. Diese Blockier-Aktionen, bei denen man sagt, wir sind dagegen, das war eigentlich gar nicht das, womit ich mich verbinde. Zusätzlich war da sehr viel Respekt oder Angst vor diesem Polizeiapparat. Einer meiner besten Freunde macht allerdings schon seit Ewigkeiten solche Aktionen und hat bisher nie richtig schlechte Erfahrungen gemacht. Wie kam es dann dazu, daß du bei dieser Aktion im Tagebau dabei warst? Durch das Klimacamp und die Degrowth-Sommerschule im Vorfeld, bei der ich einen Workshop organisiert hatte. Da bin ich echt froh drüber, denn sonst hätte ich vielleicht nie bei der Besetzung des Tagebaus mitgemacht. Während des Camps hatte ich in meinem Umfeld ziemlich viele Leute, die von Anfang an gesagt haben, daß sie auf jeden Fall mit in den Tagebau gehen. Mit denen habe ich mich die ganze Woche auseinander gesetzt. Und hast dich mitreißen lassen? Ich habe mich von dieser Euphorie anstecken lassen, aber es war schon eine sehr bewußte Entscheidung. Es gab auf dem Klimacamp sowohl ein Aktionstraining, bei dem es ganz praktisch darum ging, wie wir dort reinkommen würden, als auch ein legal training. Zwei Juristen haben erklärt, was eigentlich passieren könnte, was die Polizei machen darf, was im schlimmsten Fall an Anzeigen und Klagen auf uns zukommen könnte. Wo siehst du denn den Nutzen dieser Form von politischem Aktivismus? Sie generiert Aufmerksamkeit, und zwar sofort. Ich glaube, die meisten Leute sind sich gar nicht bewußt, daß wir in Deutschland weit davon entfernt sind, die von uns zugesagten Klimaziele einzuhalten. Unter anderem, weil keine Anstalten gemacht werden, aus der Braunkohle auszusteigen. Daß eine hochtechnologisierte Industrienation, die sich zudem gern mit ihrer Fortschrittlichkeit in Sachen erneuerbare Energien brüstet, es nicht schafft, diese Ziele umzusetzen – das hat Signalwirkung für die ganze Welt. Es sendet aber auch ein Signal, wenn 1500 Leute versuchen, in einen Tagebau reinzugehen, 800 reinkommen und dafür sorgen, daß wenigsten für einen Tag die Bagger stoppen. Es sendet ein Signal, wenn so viele Leute dazu bereit sind, die Schwelle der Legalität zu überschreiten, um deutlich zu machen: Hier passiert etwas Illegitimes. Hier arbeiten Konzerne gegen die von uns versprochenen Klimaziele und verdienen sich damit eine goldene Nase. Und die Berufspolitiker*innen schauen einfach zu. Die haben Angst davor, diese Ziele durchzudrücken. Vielleicht hoffen sie sogar insgeheim, daß es mehr solcher Aktionen gäbe, wo man den Widerstand sehen kann, den es in der Bevölkerung gegen Kohleverstromung gibt. Damit sie dann nur reagieren können, ohne selbst Vorschläge machen zu müssen. Das ist eine schöne Theorie: die Politiker*innen in der Demokratie, die auf mehr Meinungsäußerung des Volkes hoffen. Das ist vielleicht eine optimistische Hoffnung, aber ich könnte mir schon vorstellen, daß es teilweise so ist, selbst in einem eher konservativen Lager. Wie war denn der Ablauf der Aktion? Und wie hast du die Konfrontation mit der Polizeipräsenz, die ja sicher enorm war, erlebt? Wir sind sehr früh am Morgen aufgebrochen, aufgeteilt in vier Gruppen. Alle trugen weiße Einweganzüge. Die Samba-Band, die in meiner Gruppe dabei war, hatte sich zusätzlich mit Perücken, silbernen Federboas und pinken Leggings über den Anzügen herausgeputzt. Der Tagebau ist umgeben von Autobahnen und wir mußten irgendwie darunter durch. Es gab nicht so viele Möglichkeiten, nur ein paar Unterführungen. Nachdem wir den Polizeiwagen, der uns begleitete, abschütteln konnten, haben wir die erste Autobahnbrücke angesteuert. Die war bereits komplett abgeriegelt, alles war voll mit Polizeiwagen und ein paar Reihen Polizei dazu. Wir sind trotzdem weiter darauf zu, wortwörtlich mit Pauken und Trompeten (lacht). Wie hat die Polizei reagiert? Indem sie sofort angefangen haben, ihre Pfefferspraykanonen einzusetzen. Die sehen ein bißchen aus wie kleine Feuerlöscher und funktionieren wie eine Supersoaker: ein Knopfdruck und hochkonzentriertes Pfefferspray spritzt heraus. Ich hatte das Glück, daß ich so gut wie gar nichts abgekriegt habe, aber manche haben die volle Ladung in die Augen bekommen. Hättet ihr nicht einfach Sonnebrillen oder sogar Schutzbrillen aufsetzen können? Wir hatten den sogenannten Demokratieschutz, eine weiße Plastikfolie mit Gummibändchen, die wir uns vor die Augen schnallen konnten. ‚Demokratieschutz’ deshalb, weil es so absurde Regeln in Deutschland gibt: das Tragen einer Taucherbrille gilt als ‚passive Bewaffnung’. Weil es zeigen würde, daß du von vorneherein in Kauf genommen hast, in Konflikt mit der Polizei zu kommen. Wie ging es weiter, nachdem an der ersten Unterführung kein Durchkommen war? Wir haben es bei einer zweiten versucht, wo die Lage aber ähnlich war. Letztendlich sind wir über eine Autobahnüberführung rübergekommen, die nur von zwei Polizisten bewacht wurde. Doch statt einzusehen, daß sie zu zweit nicht 250 Leute aufhalten können, haben sie auch angefangen, Pfefferspray einzusetzen, Leuten ein Bein zu stellen oder einen Schlag mitzugeben. Das fand ich schockierend, wie brutal da vorgegangen wurde, obwohl von uns gar keine Gewalt ausgegangen war. Wie war es, als ihr im Tagebau angekommen wart? Unten im Tagebau wurde es sehr unangenehm. Wir hatten ungefähr 20 Polizeiwagen hinter uns, die ziemlich gedrängelt haben. Polizist*innen in voller Kampfmontur sind an uns vorbeigelaufen und haben Leute zur Seite geditscht mit ihren Ellbogen. Einer hat mich mit seinen Springerstiefeln in die Seite getreten. Dann kam noch ein Hubschrauber. Erst sah es so aus, als würde der direkt vor uns landen. Der ist auf etwa fünf bis zehn Meter runtergekommen und hat wahnsinnig viel Staub aufgewirbelt. Den Leuten, die weiter vorne waren, ist richtig Schotter um die Ohren geflogen. Wir sind dann trotzdem ziemlich weit gekommen, bis kurz unter den Bagger. Da war dann eine ganze Phalanx von Jeeps der RWE Sicherheitsleute aufgebaut. Zusätzlich stand da eine geballte Ladung an Polizeikräften mit ihren Pfefferspraykanonen. Das war eine Situation, in der ich, naja, nicht kurz vor der Panik war, aber ich dachte schon: Oh scheiße, da will ich eigentlich nicht durch. Die Leute, die unsere Gruppe angeführt haben, haben das dann auch so eingeschätzt. Also hieß es: Picknick! (lacht) Ihr habt euch also in den Staub gesetzt und Stullen ausgepackt? Genau. Neben uns befanden sich riesige Kohleförderbänder von ein paar Metern Breite. Die waren schon abgestellt worden. Auch der Bagger war schon angehalten. Wenn der Bagger läuft, kann es durch die Erderschütterungen jederzeit passieren, daß ein Hang abrutscht. Und weil wir kurz unterhalb der Abbruchkante gelaufen sind, mußten sie den Bagger anhalten. Und wie hat die Polizei auf euer Picknick reagiert? Die haben uns eingekesselt und wirkten damit erstmal ganz zufrieden. Nach kurzer Zeit haben sie ihre Helme abgenommen. Unsere Samba-Band hat wieder angefangen, Musik zu machen, was die Stimmung enorm hochgezogen hat. Denn obwohl die Lage relativ entspannt war, war das schon deprimierend: Du sitzt da und zwei Meter vor dir steht eine Mauer aus Polizei. Effektiv ist das schon wie eine Festnahme. Durch die Samba-Band hat das einen sehr surrealen Charakter bekommen. Die Band hat dann noch angefangen, eine Art Samba-Workshop zu veranstalten (lacht), was selbst einige der Polizist*innen zum Schmunzeln gebracht hat. Gab es sonst Interaktion mit der Polizei? Ingesamt war die Atmosphäre am Anfang relativ kühl, aber dann ist sie ein bißchen aufgetaut. Vielleicht so eine Art Waffenstillstand. Ihr tut uns nichts, und wir bleiben hier sitzen. Wir hatten auch das Glück, daß wir ein paar Journalist*innen dabei hatten, die die ganze Zeit Fotos und Videos gemacht haben. Neben der medialen Aufmerksamkeit hat uns das einen gewissen Schutz gegeben, weil sämtliche Repressionen aufgezeichnet wurden. Die Polizei filmt dich auch permanent. Auf den Autos waren Kameras, eine sogar auf einem langen Arm, die die ganze Szene von oben gefilmt hat. Außerdem hatten manche Polizist*innen eine Kamera an ihrer Ausrüstung. Wie lange habt ihr dort gesessen? Vier Stunden etwa. Irgendwann hatte die Polizei keine Lust mehr und hat die Ansage gemacht, daß sie uns jetzt gerne da weg hätte. Freiwillig wollten wir natürlich nicht gehen, schließlich war das Ziel, den Tagebau so lange wir möglich lahmzulegen. Also haben sie angefangen, uns wegzutragen. Jede einzelne Person wurde gefragt, ob sie freiwillig geht. Die meisten Leute haben das verneint. Manche Leuten haben sich dann wie ein Paket wegtragen lassen, was relativ leicht ist. Andere haben sich total schlapp gemacht und wurden über den Boden weggeschleift. Das stell ich mir sehr unangenehm vor, wenn du da zuschaust und die ganze Zeit denkst: Gleich kommen sie zu mir. Ja, es war eine extrem unangenehme Situation. Die Stimmung war total gekippt. Der überwiegende Teil von uns hat sich schon einfach wegtragen lassen, aber es gab auch Leute, die sich mit Armen und Beinen ineinander verhakt hatten. Die Polizei ging da sehr rabiat vor, hat ihre Schlagstöcke wie Brecheisen benutzt, um Arme und Beine auseinander zu hebeln. Wenn die Leute dann immer noch nicht losgelassen haben, haben sie auch mal Arme umgedreht oder Daumen verdreht. Als die Reihe an mir war, wurde ich ebenfalls von einem Polizisten gefragt, ob ich freiwillig gehe, was ich verneint habe. Daraufhin hat er mich mit seinen behandschuhten Händen am Kopf gepackt und am Kopf da weggerissen. Das hat mich total überrascht – ich hatte gar keinen Widerstand geleistet. Ich wurde also ein Stück weit weggetragen und dann gefragt, ob ich meinen Personalausweis dabei habe. Hatte ich nicht, deswegen haben sie mich und meine Sachen durchsucht, den ganzen Rucksack ausgepackt, nichts gefunden. Dann sollte ich rüber zum Polizeiwagen. Dort wurde ich zuerst fotografiert, danach im Wagen in eine Art Zelle eingesperrt, die wie ein Sportspind aussah. In so einen kleinen Raum? Ja, das war maximal ein halber Quadratmeter. Da hat gerade ein Stuhl reingepaßt und du konntest deine Füße abstellen. Meinen Rucksack mußte ich auf den Schoß nehmen. Ringsherum Wände und die Tür wurde zugemacht. Immerhin gab es ein kleines Bullauge, aus dem ich rausgucken konnte. Ich dachte, daß sie uns ins nächste Polizeipräsidium oder so bringen, denn wenn man seine Personalien verweigert, dann kann man in Nordrhein-Westfalen 12 Stunden festgehalten werden. Tatsächlich haben sie uns aber nur bis kurz hinter die Autobahn gekarrt, uns dort rausgeworfen und einen Platzverweis erteilt. Als der Wagen mit mir anhielt, habe ich die Samba-Band schon spielen hören (lacht), da wußte ich, yeah, wir werden wieder freigelassen. Ich war total kaputt von der Sonne und dem Rennen mit dem Rucksack. Es war nachmittags, wir waren fast 12 Stunden unterwegs gewesen. Wie hast du insgesamt das Vorgehen der Polizei erlebt? Insgesamt war ich ziemlich erschüttert von den polizeilichen Repressionen, so harmlos das vielleicht für hardcore Aktivist*innen abgelaufen sein mag. Wobei meine Gruppe auch Glück gehabt hatte. Andere Gruppen, die weiter unten im Tagebau waren und mit den RWE Kräften zusammengestoßen sind, wurden ganz anders angepackt. Mit Kabelbindern wurden denen die Hände auf dem Rücken zusammengebunden und so saßen sie dann sechs Stunden im Sand, gefesselt, konnten nicht zur Toilette, weder trinken noch essen. Aber es gab auch andere Geschichten. Zu einem Aktivisten hat der Polizist, der ihn in den Wagen gesperrt hat, gesagt: Eigentlich finde ich das super, was ihr hier macht. Teilweise haben sich auch längere Diskussionen entwickelt zwischen einzelnen Polizist*innen und Aktivist*innen, über unsere Gründe. Hattest du das Gefühl, die Aktion war erfolgreich? Total. Alle Gruppen haben es in den Tagebau geschafft. Außerdem wurde auf unserer Seite der Konsens der Gewaltfreiheit von einer sehr heterogenen Masse eingehalten. Selbst von den Leuten, die vielleicht Lust gehabt hätten, Bagger anzuzünden, sich aber für das Gemeinwohl und die Außenwirkung der Aktion daran gehalten haben, daß in diesem Tagebau nichts kaputt gemacht und niemand verletzt wird. Auch die Resonanz in der Presse war richtig gut. Selbst bei der Tagesschau gab es einen sehr guten Audiokommentar, der den Zwiespalt des zivilen Ungehorsams auf den Punkt gebracht hat. Was wir gemacht haben, sei zwar illegal, prangere aber die Illegitimität von Braunkohle an, und deswegen müsse man eigentlich dankbar sein, daß es Leute gibt, die sich dagegen stellen. Das heißt, du würdest es jeder Zeit wieder machen? Auf jeden Fall. |